Wie weit ist Gaggenau bei der Inklusion?
Gaggenau (hu) – Die Stadt hat ihren „Maßnahmenplan“ zur Inklusion vorgestellt – und erntet dafür ordentlich Kritik von CDU-Stadträtin Rosalinde Balzer.

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Hilfreicher Assistent: Der Handlauf vor dem Gaggenauer Rathaus ist ein Ergebnis des Maßnahmenplans Inklusion. Foto: Adrian Mahler
Kommt ein Rollstuhlfahrer an den Fahrkartenautomat ran? Findet der Sehbehinderte problemlos einen sicheren Weg zum Rathaus? Und welche Probleme bereitet Kopfsteinpflaster einem Senior mit Rollator? Mit Fragen wie diesen beschäftigt sich die Stadt Gaggenau intensiv seit Herbst 2015 und hat gemeinsam mit der Lebenshilfe Rastatt/Murgtal das von der Aktion Mensch geförderte Projekt „Miteinander – macht’s einfach“ ins Leben gerufen. Dabei entstanden ist auch der „Maßnahmenplan Inklusion“, der nun dem Gemeinderat vorgestellt wurde.
Die Ziele, die sich die Projektpartner gesetzt haben, sind groß. „Wir wollen die Mobilität verbessern, Barrieren in den Köpfen und bauliche Barrieren abbauen“, erklärte Lebenshilfe-Geschäftsführer Martin Bleier. „Es sollen Arbeitsplätze am ersten Arbeitsmarkt entstehen und Vereine Menschen mit Behinderung in ihre Angebote aufnehmen. Außerdem wollen wir Hilfsdienste aufbauen.“ Vor allem die beiden letztgenannten Punkte seien in den vergangenen Jahren schon gut gelungen, so Bleier.
Expertenkreis gegründet
Wie Carmen Merkel, Leiterin des Amts für Gesellschaft und Familien bei der Stadt, erklärte, ist ein Expertenkreis entstanden, dem Menschen mit Beeinträchtigungen angehören. Sie beraten die Stadt vor allem bei baulichen Entscheidungen. Denn, so Merkel: „Wir haben gelernt: Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht.“ Gleichzeitig betonte sie, dass Inklusion kein Nischenthema sei. „Wir werden wahrscheinlich früher oder später alle mit Einschränkungen zu tun haben. Und dann stößt man im Alltag schnell auf Barrieren.“
Ein perfektes Beispiel dafür sei der Eingang zum Rathaus. Der Rathaustreppe fehlte ein Handlauf. „Keiner hat’s gemerkt, weil ihn keiner gebraucht hat.“ Jetzt, wo er da sei, werde er aber rege genutzt, weiß Merkel. Weitere „Folgen“ des Maßnahmenplans: Das Waldseebad, das laut Merkel ein regelrechtes „Vorzeigeprojekt für Barrierefreiheit“ ist. Außerdem waren Ortsteilspaziergänge begonnen worden, die aber nach der Erstauflage in Oberweier von der Pandemie gestoppt wurden.
Auch Oberbürgermeister Christof Florus (parteilos) zog ein positives Zwischenfazit. Klar stehe man bei vielem erst am Anfang und die Umsetzung werde auch Geld kosten. Aber: „Wir sind richtig lernfähig geworden.“
Überwiegend zufrieden zeigte sich auch der Gemeinderat mit dem bisher Erreichten. „Jetzt haben wir eine Grundlage, mit der wir arbeiten können. Auch, damit man nichts vergisst“, sagte der Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler, Jan Stenger. Für die SPD lobte Gerd Pfrommer den Pragmatismus und die Bodenständigkeit, mit der das Thema angegangen werde.
Katalog an Kritikpunkten
Deutlich kritischer zeigten sich da Susanne Detscher (Grüne) und vor allem Rosalinde Balzer (CDU). Zwar sei es gut zu sehen, wo man als Stadt stehe und wo man hinwolle. Dennoch sei ein zentrales Angebot wie die Stadtbibliothek nach wie vor nicht barrierefrei zugänglich. „Da würde ich drauf drängen, dass es Verbesserungen gibt.“
Mit einem ganzen Katalog an Kritikpunkten wartete dagegen Balzer auf. Selbst gehbehindert und Mutter einer Tochter mit Down Syndrom kennt sie sich mich Alltagsbarrieren aus – und hielt mit ihren Eindrücken nicht hinterm Berg: Stolperfallen rund ums Rathaus, Murgufergarage, Behindertenparkplätze. „Inklusion muss in die Köpfe der Menschen“, sagte Balzer. „Davon sind wir als Gesellschaft noch sehr weit entfernt.“