„Intensive Förderung ist Balsam für die Seele des Kindes“
Baden-Baden (red) - Die Hector-Kinderakademie fördert auch in Mittelbaden begabte Kinder außerhalb des Schulunterrichts. Welche Voraussetzungen es für die Förderung gibt und wie diese aussieht, erläutert Hector-Geschäftsführerin Eva-Maria Wandler im BT-Interview (Foto: pr).
Baden-Baden - Die Hector-Kinderakademie fördert seit Jahren auch in Mittelbaden begabte Kinder außerhalb des regulären Schulbetriebs. Das Angebot wird durch eine Stiftung und unter Beteiligung des Landes Baden-Württemberg möglich gemacht. BT-Redakteurin Stephanie Hölzle hat Eva-Maria Wandler, Geschäftsführerin der Kinderakademie Baden-Baden, vier Fragen rund um diese Fördereinrichtung gestellt.
BT: Die Hector-Akademie fördert besonders begabte Grundschulkinder. Wie finden Sie diese Kinder? Können Eltern ihren Nachwuchs selbst anmelden?
Eva-Maria Wandler: Die Klassenlehrer der uns zugeteilten Schulen erkennen, ob Kinder gefördert und gefordert werden müssen. In Konferenzen wird dann festgelegt, welche Kinder von der jeweiligen Schule nominiert werden. Mit einem Anmeldeformular bestätigt die Schule ihre Vorschläge. Es kommt auch vor, dass Eltern sich an die Hector Kinderakademie wenden, weil ihnen ein Kinderarzt, Psychologe oder die Beratungsstelle beim Staatlichen Schulamt dazu geraten hat. In selteneren Fällen kommen Eltern direkt auf uns zu. Diese Eltern werden dazu ermutigt, mit dem Klassenlehrer ins Gespräch zu gehen, damit ebenso eine Förderung von Seiten der Schule stattfindet.
BT: Aus Ihrer Erfahrung: Wie reagieren die Kinder bzw. ihre Familien darauf, wenn eine Einladung zur Hector-Akademie ins Haus flattert?
Wandler: Viele Eltern sind stolz darauf, zurecht. Manche wollen jedoch eine Hochbegabung eher geheim halten, da es viele Vorurteile in unserer Gesellschaft gibt. Beispielsweise wird besonders begabten Kindern oft nachgesagt, sie seien unsozial. Diese Behauptung kann ich nicht teilen. Im Gegenteil: Unter den begabten Kindern gibt es viele hochsensible und sensible Persönlichkeiten, die über eine besondere Empathie verfügen. Die meisten Eltern wissen, dass es Kindern nicht guttut, „in den Himmel gelobt“ zu werden. Dies führt zu einer falschen Fremdwahrnehmung. Die intellektuellen Bedürfnisse der Kinder und deren Interessen müssen jedoch ernst genommen und bedient werden, damit sich ihre Fähigkeiten optimal entfalten können. Durch viel praktisches und kindgerechtes Arbeiten, durch Experimentieren, Forschen, Diskutieren und Tüfteln in den Kursen der Kinderakademie bleibt die Lernfreude der Kinder erhalten oder kann weiter geweckt werden. Eine Gefahr der Überforderung besteht hingegen kaum. Sollte dies dennoch der Fall sein, merkt es der Kursleiter schnell. Kinder schalten ab und sind unaufmerksam, während andere mit leuchtenden Augen freudestrahlend lernen. Aufgrund der kleinen Lerngruppe kann er sofort reagieren. Hat ein Kind das Potenzial dazu, ist eine intensive Förderung Balsam für die Seele des Kindes. Es fühlt sich ernst genommen mit seinen Fragen und wertgeschätzt mit seinen Eigenheiten, seinem Forscherdrang und dem großen Wissensdurst.
BT: Das Kursprogramm ist ein bunter und breit angelegter Mix aus Themen und Angeboten, oft auch mit einer praktischen Komponente. Nach welchen Kriterien wird es zusammengestellt, wie finden Sie die Dozenten und was stößt auf besonders großes Interesse?
Wandler: Das Kursprogramm umfasst in der Hauptsache den MINT-Bereich (Anm. d. Red.: Das ist die zusammenfassende Bezeichnung der Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) und besteht daher zu 75 Prozent aus Angeboten zu Physik, Chemie, Mathematik, Informatik und Biologie. Das Interesse für diesen Bereich sollte früh geweckt und gefördert werden, als Basis für die weiterführende Bildung und für lebenslanges Lernen. Des Weiteren fördern wir Begabungen im sprachlichen, musischen und künstlerischen Bereich, da wir viel Wert auf die Entwicklung der Gesamtpersönlichkeit eines Kindes legen. Besonderes Interesse haben Kinder an naturwissenschaftlichen Zusammenhängen, an Themen aus Geschichte, Philosophie und Geografie, aber auch ganz speziell an aktuellen politischen Diskussionen wie beispielsweise Energiegewinnung oder Klimaschutz. Auch Angebote, die mit Berufen im Zusammenhang stehen wie „Was macht ein Architekt?“, „Wie arbeitet ein Steinmetz?“ finden Kinder spannend. Nach fast 20 Jahren Schulleitung und Hochbegabtenberatung hat man eine Gruppe aus bekannten Fachleuten, Lehrern, Pädagogen etc., die als Dozenten für die Kinderakademie prädestiniert sind und sich alle mit Herzblut engagieren. Jetzt, wo die Kinderakademie bekannter ist, melden sich auch einige Dozenten auf Eigeninitiative.
BT: Die Hector-Kurse in der Region laufen seit einigen Jahren und werden auch wissenschaftlich begleitet. Welche Erkenntnisse haben Sie aus dieser Zeit für die Begabtenförderung in der Region gewonnen?
Wandler: Wichtige Erkenntnisse der wissenschaftlichen Begleitung fließen unmittelbar in die Arbeit der Kinderakademien mit ein. Der Einstieg in neue Wissensgebiete und der Ausbau von Begabungsschwerpunkten erfordern Zeit. Daher werden die einzelnen Kurse mit mindestens zwölf Kurseinheiten/Unterrichtsstunden angesetzt und können je nach Forscherdrang und Experimentierfreude auch länger dauern. Die Kursdauer, die Gruppengröße von sechs bis acht Kindern wie auch die Anregung zu selbstständigem und entdeckendem Arbeiten sind dafür verantwortlich, dass nachhaltig und intensiv – im Sinne von lebenslangem Lernen – Wissen und Erfahrungen gespeichert werden können. Anhand dieser Grundlagen und aufgrund unserer Erfahrungen werden neue Kurse konzipiert. Eine besondere Herausforderung ist es, die lokalen Begebenheiten zu berücksichtigen. Weitere Angebote werden daher auch gemeinsam mit Institutionen der Stadt Baden-Baden wie beispielsweise den Stadtwerken, der Stadtbibliothek, dem Stadtmuseum oder dem SWR zusammengestellt. Wir sind über die tollen Kooperationen sowie über die Bereitstellung verschiedener Räumlichkeiten der Stadt sehr erfreut. Die Begabtenförderung in der Region Bühl und Rastatt sollte örtlich noch weiter ausgebaut werden. Wir freuen uns auf Angebote von Museen, aber auch auf die von weiterführenden Schulen, die Kinder bereits im Grundschulalter für Themen begeistern können, die nicht im Bildungsplan der Grundschulen verankert sind. Ebenso ist es denkbar, dass interessierte Firmen Mitarbeiter motivieren und Engagement zeigen, Kindern bereits heute einen Einblick in technische Zusammenhänge oder die Berufswelt von Fachleuten zu geben. Kinder arbeiten sehr gerne mit Experten und brauchen beim Lernen einen Bezug zur Lebenswirklichkeit.
„Vier Fragen an:“ ist eine Reihe der BT-Onlineredaktion. Die vier Fragen richten sich an Menschen, die gerade im Fokus stehen, etwas Interessantes erlebt oder zu erzählen haben oder aufgrund ihrer Tätigkeit interessant sind.
Fotos: Hector-Akademie/pr