Kurstadt als Sehnsuchtsort, Fluchtpunkt und Heilquelle
Von Gisela Brüning Baden-Baden - Für Ivan Turgenev war Baden-Baden gleichermaßen Sehnsuchtsort, Fluchtpunkt und Heilquelle. In ihrer Festrede hielt sich Prof. Elisabeth Cheauré, Projektleiterin der Sonderausstellung im Stadtmuseum (noch bis 3. März 2019), nicht lange mit der Biografie des Dichters auf, die ohnehin unter diversen Aspekten im Jahr der 200. Wiederkehr seines Geburtstags analysiert, referiert und wiedergegeben wird. Sie wählte Anekdoten von Daniil Charms, dessen Witz und Ironie den stalinistischen Machthabern so suspekt war, dass sie ihn in einer Psychiatrie verhungern ließen. Anekdoten dieses jungen Literaten endeten stets mit dem Satz "Und Ivan Turgenev reiste nach Baden-Baden."
So viel zum Fluchtpunkt. Die Sehnsucht stillte Pauline Viardot Garcia, und alle Leiden und Zipperlein schwanden mit dem Genuss der Heilquellen. Was ansonsten Biografisches über den Kosmopoliten Ivan Turgenev (1818-1883) zu berichten war, nahmen sich in ihren Grußworten Oberbürgermeisterin Margret Mergen, der russische Generalkonsul Alexander Bulay und Staatssekretär Volker Schebasta als Vertreter der Landesregierung vor. Sie alle betonten die Verdienste Turgenevs als Brückenbauer zwischen der russischen und der europäischen Kultur, die er mit hohem persönlichem Einsatz gegen die Kritiker in seiner Heimat verteidigte. Luc Wattelle, Bürgermeister von Bougival, befleißigte sich in seinem Grußwort der deutschen Sprache und pries den Ort Bougival nahe Versailles, an dem der Dichter mit dem Ehepaar Viardot die letzten Jahre seines Lebens verbracht hatte. Er stellte Aktivitäten vor, die ebenfalls dem Jubeljahr Turgenevs zur Ehre geplant wurden und wusste sogar, dass Wladimir Putin 2018 zum "Turgenev-Jahr" ausgerufen hatte. Der einst Geehrte pries seine sieben Baden-Badener Jahre als die "glücklichste Zeit seines Lebens". "Kommen Sie nach Baden", forderte er im Briefwechsel den französischen Dichter Gustave Flaubert auf. "Hier gibt es Bäume, wie ich sie noch niemals gesehen habe!" Die beiden Schauspielkollegen Oliver Jacobs als Turgenev und Max Ruhbaum als Flaubert ermöglichten es, die beiden Literaten als Alter Ego zu erleben, die sich mit Lob und Anerkennung ihrer Werke überschütteten. Eine weitere Szene aus dem Turgenev-Roman "Väter und Söhne" spielten im Verlauf des Abends Jacobs und Ruhbaum. Sie entbrannten in einen leidenschaftlichen Disput der Freunde Arkadi, dem idealistischen Romantiker, und Jewgenij, der sich als Nihilist und Skeptiker bekennt. Den Philosophen Turgenev stellte Prof. Horst-Jürgen Gerigk von der Uni Heidelberg vor, der in Begleitung von Renate Effern, der Präsidentin der Deutschen Turgenev-Gesellschaft, ans Mikrofon trat. Gerigk folgte der Intention des russischen Dichters, dass sowohl Shakespeares "Hamlet" als auch "Don Quichote", der Held im Roman von Miguel Cervantes, als Prototypen menschlichen Verhaltens Beispiel geben. Die Dichter des 16. Jahrhunderts, die beide am 23. April 1616 starben, zeichneten einerseits im zerrissenen Wesen Hamlets, dessen "Sein oder nicht Sein" sich für Letzteres entschied, den depressiven mutlosen Typus. Der Spanier Cervantes dagegen, schuf mit Don Quichote, dem Ritter von der traurigen Gestalt, den Romantiker, der sich im Kokon seiner verklärten Fantasien vor der Realität verschließt. Beim Publikum stellten sich möglicherweise verklärte Fantasien mit dem "Poème für Violine und Orchester von Ernest Chausson ein, mit dem Yasushi Ideue, Konzertmeister und brillanter Solist, und die Philharmonie Baden-Baden unter Chefdirigent Pavel Baleff den Abschluss verzauberten. Der Komponist folgte der Inspiration, die auch Turgenev zu seinem "Lied der triumphierenden Liebe" am Sehnsuchtsort Baden-Baden geradezu überwältigt haben muss.
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