"Ich mache weiter, solange ich noch kann"
Von Sabine Wenzke
Ötigheim - Ursula Brandel ist ein echtes Energiebündel. Sie erzählt schnell und mit Begeisterung, flitzt unversehens mitten im Gespräch mehrfach die Treppe hoch und runter, um etwas zu holen. Die Ötigheimerin wird bald 80, ist zweifache Urgroßmutter, aber in ihrem Elan nicht zu bremsen: Seit 47 Jahren engagiert sie sich ehrenamtlich für Behinderte, hat in dieser Zeit in verschiedenen Einrichtungen alle Jahre wieder den Nikolaus gespielt und macht dies heute noch in den Murgtal-Werkstätten der Lebenshilfe in Rastatt. Die Geschenke, die sie dabei verteilt, bezahlt sie aus dem Erlös von Flohmarktverkäufen oder aus eigener Tasche. Ihr Engagement geht auf ein einschneidendes Erlebnis zurück. Sie war schwanger und schwer nierenkrank, da bereiteten sie die Ärzte schonend darauf vor, dass ihr zweites Kind Thorsten "vorzeitig geholt müsste", sonst könnten beide sterben. Allerdings, und das wurde hinzugefügt, könnte ihr Sohn behindert sein. Er war es nicht. Die junge Mutter war unendlich erleichtert und dankbar. Sie schwor sich damals, der Gesellschaft etwas zurückzugeben und den Menschen eine Freude zu bereiten, die nicht so viel Glück hatten. Damit begann ihr Einsatz für Behinderte. Inzwischen ist dieser für sie zur Lebensaufgabe geworden. Ihre Tage sind ausgefüllt und nie langweilig: Sie habe sich zum Ziel gesetzt, "jeden Tag eine gute Tat zu vollbringen." Außerdem habe sie ein Helfersyndrom - "ich kann eben nicht Nein sagen" -, meint Brandel lachend, die 2018 vom Karlsruher Radiosender "Die neue Welle" für ihre selbstlose Tätigkeit zum "Herzensmenschen" gekürt worden ist. Das Telefon klingelt mehrmals während des Gesprächs. Am anderen Ende sind Anrufer, die ihr Kleidung oder andere Waren spenden wollen. Zu den regelmäßigen Spendern von Sachspenden zählt Claudia Walther, die in Rastatt das Geschäft Walther 21 betreibt, hebt Brandel dankbar hervor. Viele Anrufer haben auch ihre Zeitungsannonce gelesen, in der sie um Flohmarktartikel zugunsten behinderter Menschen bittet. Die 79-Jährige ist viel unterwegs in der Region, verfährt gut 30 Euro Sprit in der Woche und holt die Sachen fast immer selbst ab. Nur angebotene Artikel aus Baden-Baden bringt ihr ein Bekannter mit. Die Waren verkauft sie dann auf dem Flohmarkt im Münchfeld in Rastatt. Damit sie sicher "ihren Platz" bekommt, steht sie dafür mitten in der Nacht auf. Töpfe, Pfannen, Besteck, Wolle und schöne Figuren gehen gut, Steingut, einzelne Gläschen und Bücher sind dagegen kaum gefragt, berichtet sie von ihren Erfahrungen. Wolle verschenkt sie zuweilen an das Diakonissenkrankenhaus oder an Behinderte, wenn sie häkeln oder stricken können. Manchmal stellen Leute auch Sachen in ihrem Hof ab. Ursula Brandel ist dankbar für die Spenden, bittet aber inständig darum, ihr keine unverkäuflichen Flohmarktreste oder kaputten Geräte zu überlassen, die sie dann kostenpflichtig entsorgen muss. Auch das kam schon vor. Manchmal freilich finden sich in alten Flohmarktkisten auch ungeahnte Überraschungen: Die Ötigheimerin traute ihren Augen nicht, als unter Kleidungsstücken einmal eine Gold-Münzsammlung zum Vorschein kam. Die habe sie natürlich an den Spender zurückgegeben. Der Flohmarktverkauf ist zuweilen sehr anstrengend für die alte Dame, die eine sehr lange Krankengeschichte hat, darunter mehrere Krebserkrankungen. Sie habe aber einen starken Überlebenswillen, sei dem Tod schon mehrfach von der Schippe gesprungen, erzählt sie mit blitzenden Augen und fügt mit einem Anflug von Galgenhumor hinzu: "Ich bin dem Teufel wohl zu gut." Sie lacht gerne, auch wenn ihr manchmal nicht zum Lachen zumute ist. Ursprünglich stammt sie aus Karlsruhe, ist in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen und kam bereits mit dreizehneinhalb Jahren aus der Schule. Sie wohnte 17 Jahre in Würmersheim und zog vor 30 Jahren nach Ötigheim, half beim DRK in Au am Rhein und später beim DRK in Ötigheim bei den Blutspendeaktionen mit. Nicht vergessen sind auch die sieben Jahre, als sie bei Seniorenveranstaltungen im Albtal auf der Bühne agierte und mit großer Begeisterung Sketche spielte - zur Freude und Unterhaltung der älteren Bürger. Bunt war auch ihr Berufsleben. Sie verdingte sich als Kindergartenhelferin, als Messgeräteableserin (Gas und Strom), baute Radios zusammen in einer Fabrik und war die letzten 20 Jahre bis zum Einstieg in die Rente als Krankenpflegehelferin im Krankenhaus Rastatt tätig. Dort spielte sie 20 Jahre lang den Nikolaus wie zuvor auch schon bei Familien in Mörsch. Als Dank erhielt sie im Dezember 1980 den Wappenteller der Gemeinde Rheinstetten - "für ihre segensreiche Tätigkeit für behinderte Kinder", ist darauf vermerkt. In den Murgtal-Werkstätten in Rastatt führt sie seit rund zehn Jahren immer wieder wohltätige Aktionen für die behinderten Mitarbeiter durch, dafür haben ihr auch schon die Murgtal-Werkstätten gedankt. Alle Jahre wieder spielt sie den Nikolaus und den Osterhasen und feiert stets ihren Geburtstag dort. Zwischendurch bringt sie mal 120 Mohrenköpfe oder Schokoriegel vorbei oder schickt den Eismann zu den Murgtal-Werkstätten - in diesem Jahr schon dreimal. Es sind oft die kleinen Überraschungen, die die Menschen dann besonders erfreuen. Vor Weihnachten kauft sie 120 Nikoläuse, ihre Freundin Tina backt zudem und näht für die Festtage Puppen und Tiere aus Stoffresten. Für die Geschenke ist ein ganzes Zimmer in Brandels Haus reserviert. In einem anderen Raum lagern die Flohmarktartikel, darunter auch noch einige Puppen mit hübschen Gesichtern. Sechs Kisten mit etwa 20 kaputten Puppen habe sie wieder repariert, und weil die keiner auf dem Flohmarkt kaufen wollte, habe sie diese über eine Hilfsorganisation behinderten Kindern in Ghana zukommen lassen. Als Beweis dafür, dass die Spielzeugkisten auch angekommen sind, ließ sie sich Fotos der Mädchen schicken, wie sie ihre Puppen glücklich an ihr Herz drücken. Auch ein Projekt in Bangladesh will Brandel unterstützen und eine Kuh finanzieren. Die kostet 80 Euro und ist für eine dortige Familie mit einem behinderten Kind ungemein wertvoll. "Freude der anderen Am 11. September wird Ursula Brandel 80 Jahre alt. Sie wird ihren Geburtstag aber erst am 17. September mit Kaffee, Kuchen, Knabberzeug und alkoholfreiem Sekt mit 120 Leuten in den Murgtal-Werkstätten feiern. Zuvor, am 9. September, ist sie dort zum Grillfest eingeladen und hat schon, als kleines Dankeschön, den Eismann für den Nachmittag bestellt, verrät sie lachend. Eigentlich wollte sie mit 80 ihre ehrenamtliche Tätigkeit beenden, doch diesen Gedanken hat sie schon wieder verworfen. "Das Glück und die Freude in den Augen der anderen zu sehen, ist für mich die größte Freude", sagt Ursula Brandel: "Ich mache weiter, solange ich noch kann."
Das könnte Sie auch interessieren
|
Ausgabe wählen
Top-Themen
Umfrage
Etwa jeder zweite Kunde in Deutschland nimmt nach einem Einkauf den Kassenbon mit. Stecken Sie die Auflistung ein?
Kommentierte Artikel
Meistgelesene Artikel
|