Der Schatz aus der Senkgrube
Von Michael Wessel
Gaggenau - Drei Jahre, nachdem im Jahr 1894 der junge Konstrukteur Joseph Vollmer dem Gaggenauer Unternehmer Theodor Bergmann seine Pläne zum Bau von Motorfahrzeugen vorgestellt hatte, wurde in Bergmanns Industriewerken das Automobil mit der Fahrgestellnummer 104 gefertigt. Es ist das älteste erhalten gebliebene Exemplar dieser Baureihe, und sein Auffinden, die Restaurierung und die Rückkehr an seinen Geburtsort ist von vielen Zufällen begleitet. 1989 entdeckte und kaufte Oldtimer-Kenner Peter Moffat bei einer Ausfahrt mit historischen Fahrzeugen im englischen Kent einige Teile, die er zunächst einem alten Benz-Wagen zuordnete. Er fand heraus, dass die Gegenstände in einer alten Sägemühle gefunden wurden. Bei einem ersten Besuch entdeckte der Automobil-Fanatiker dann weitere Teile. Der Motor des Fahrzeugs war gelegentlich als Antrieb des Sägetischs verwendet worden, berichtete ihm der Enkel des Betreibers. Und da dieser auch als Handwerker beschäftigt war, erhielten einige Teile eine neue Funktion - manche als Bewehrung für den Betondeckel einer Senkgrube. Mit großem Aufwand wurden sie wieder befreit. Der Enkel des Mühlenbesitzers erinnerte sich auch daran, dass ein Wassertank als Erdung für eine Antenne vor dem Küchenfenster vergraben wurde. Beim Ausbuddeln kam ein vollkommen erhaltener Tank mit Originallackierung zum Vorschein, der eindeutig von einem Orient-Express stammt. Peter Moffat wurde es leid, immer wieder betteln zu müssen, um nach weiteren Teilen suchen zu dürfen, und so kaufte er kurzerhand die Mühle und die darum herum befindlichen Wellblechhütten. In dem Unrat, der sich in Jahrzehnten angesammelt hatte, fand er mit weiteren "Schatzsuchern" viele weitere Stücke. Diese wurden gesäubert und in der gut ausgerüsteten Werkstatt von Peter Moffat ausgelegt. Das Puzzlespiel konnte beginnen. Unterlagen gab es nicht. 2001 erkrankte Moffat, und so stieg sein Freund Ron Mellowship in das Restaurierungsprojekt ein. Sie ergänzten sich hervorragend. Einen Tag vor seinem Tod übergab Peter Moffat alle bei ihm verbliebenen Teile an Ron. Mit seinem Sohn Alex und Freunden aus der Oldtimer-Szene setzte er alles daran, das Fahrzeug für die legendäre Rallye London to Brighton 2009 originalgetreu fahrfertig zu machen. Obwohl der Wagen nur eine Meile auf der Straße gefahren war, meldete ihn Ron Mellowship mutig an. Das Schöne: Trotz nicht vorhandener Fahrpraxis erreichte der Orient-Express 104 in Brighton sein Ziel. Zum Thema; Flößerin Eine ausführliche Beschreibung der Entdeckung des Orient-Express 104 und seines Weges zurück an seinen Geburtsort steht im Heimatbuch 2019 des Landkreises Rastatt. Erhältlich im regionalen Buchhandel.
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